Auf der Masse an Informationen, die wir freiwillig im Internet über uns preisgeben, basiert eine Vielzahl an Kriminalitätsformen.
Die Kriminalität bleibe nicht stehen und entwickle sich immer weiter, meint Thomas-Gabriel Rüdiger. Der Deutsche ist Cyberkriminologe an der Fachhochschule der Polizei Brandenburg und führender Experte zu Gefahren über das Internet. Ein Gespräch über unseren digitalen Narzissmus, die digitale Identität von Kindern und twitternde Polizisten.
Wie Personen im Internet angreifbar werden
„Der digitale Narzissmus, über den ich gerne rede, führt dazu, dass wir uns ausgiebig im Netz präsentieren. Es ist dadurch möglich, bereits so viele Informationen aus dem Internet über eine Person herauszulesen und zu kombinieren, dass sie im Prinzip komplett durchleuchtet und damit angreifbar gemacht werden kann. Je mehr dieser Informationen vulnerabel sind, umso angreifbarer wird diese Person. Also Informationen über die eigenen Kinder, Haus, Autokennzeichen, aber auch über die regelmäßige Laufstrecke. Es gab schon Kriminalitätsfälle, weil die Täter wussten, wo jemand zu welcher Uhrzeit läuft. Auf der Masse an Informationen, die wir freiwillig im Internet über uns preisgeben, basiert eine Vielzahl an Kriminalitätsformen.
Warum Kinderbilder im Internet prinzipiell nichts verloren haben
„Täter können auch aus Bildern vulnerable Informationen über ein Kind generieren. Sie werden Möglichkeiten finden, um herauszufinden, wie das Kind heißt, wie alt es ist, in welche Schule es geht – und Zugriffsmöglichkeiten auf dieses Kind bekommen. Eltern hätten früher ja auch nicht wildfremden Menschen auf der Straße ein Foto ihrer Kinder in die Hand gedrückt. Aber es ist nicht nur ein Problem der Eltern. Der digitale Narzissmus betrifft auch Institutionen wie etwa Kindergärten, Schulen oder Sportvereine, die sich öffentlich mit Kinderfotos präsentieren. Kinder haben bis zu einem gewissen Grad im öffentlichen Netz nichts verloren. Den Zugang zu diesen Bildern sollte man auf den Personenkreis begrenzen, dem man seine Kinder auch wirklich anvertrauen würde.“
Wie Eltern ihre Kinder digital vorprägen
„Wenn Eltern beispielsweise ihren Instagram- oder Facebook-Account mit Kinderbildern aufbauen, geben sie dem Kind bereits eine digitale Identität, einen digitalen Fußstapfen mit. Das Kind hat eine digitale Außenwirklichkeit, bevor es überhaupt weiß, wie es sich präsentieren will. Vielleicht will das Kind als 14-Jähriger nicht, dass Fotos von ihm als Kleinkind am Töpfchen oder beim Kuscheln mit den Eltern veröffentlicht wurden. Es ist aber im Netz und dadurch bereits vorgeprägt. Man nimmt den Kindern die Möglichkeit, sich im Netz selbst zu entwickeln. Im Land Brandenburg hatten wir das Projekt Mein Bild gehört mir. Schulen, Vereine und Eltern wurden aufgefordert, einen Vertrag zu schließen, dass sie keine Bilder mit Kindern veröffentlichen. So lange, bis die Kinder selber eine entsprechende Medienkompetenz haben und selber entscheiden können, ob Bilder von ihnen veröffentlicht werden sollen oder nicht. Hierzu eine kleine Analogie: Wann darf das Kind das erste Mal alleine zur Schule? Wenn man meint, es auf alle Risiken vorbereitet zu haben. So sollte man es auch bei den Kinderbildern handhaben.“