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Digitale Zukunft

„Wir müssen Bildung komplett neu denken“

 

VIDEO: Kurt Söser über digitale Helden. Bild: (c) Kurt Söser

Können Tablets und digitale Tools ein neues Zeitalter der Bildung einleiten? Teacherpreneur, Gründer, Blogger, Sport- und Mathematiklehrer Kurt Söser im Gespräch über seine Erfahrungen mit dem digitalen Unterricht.

A1: Sie stellen in Ihren Vorträgen und auf Ihrem Blog die Frage: analoge oder digitale Schule? Ihre Antwort darauf lautet phygital. Was steckt hinter diesem Begriff?

Söser: Die Schüler unterscheiden nicht mehr zwischen analoger und digitaler Welt. Schlussendlich ist das für sie alles eins. Der Begriff phygital – also physisch und digital – trifft das eigentlich am besten. Wenn man in der Schule dieses Realleben aussperrt, sind wir dort doch in einem Elfenbeinturm, der de facto so nicht mehr funktioniert. Wir können uns den digitalen Tools im Unterricht nicht verschließen.

A1: Sie haben seit vier Jahren Tablets in der Klasse im Einsatz. Welche Möglichkeiten gibt es durch die digitalen Tools?

Söser: Sie geben mir als Lehrer Dinge in die Hand, die vorher nicht machbar waren. Ich kann beispielsweise das Klassenzimmer mit Videokonferenzen öffnen. Der klassische Tafelanschrieb, Übungszettel und die Schulhefte erfolgen digital. Wir verwalten uns mit den Tablets. Aber diese Tools sind ja nicht bloß Ersatz fürs Analoge. Spannend wird es eigentlich erst, wenn man mit Videos oder Lerntools den Unterricht ganz anders gestalten kann.

A1: Ändern sich dadurch die Rollen des Lehrers und der Schüler im Lernprozess?

Söser: Ich habe zu Beginn meiner Lehrerkarriere – auch aus meiner Schulzeit bedingt – noch immer die hierarchische Struktur miterlebt. Hier der Lehrer, der Wissen hat, dort der Schüler, der lernt. Heute gibt es Tausende andere Kanäle und Wege, um sich Wissen anzueignen. Lernen findet ja nicht hauptsächlich in der Schule statt. Wissen oder einfache Fertigkeiten können auch über ein YouTube-Video vermittelt werden, dort gibt es zum Beispiel verschiedenste Erklärungen, die ich als Lehrer so gar nicht bieten kann. Aber wenn es Fragen und Probleme gibt, dann brauche ich die menschliche Interaktion. Ich sehe mich als Enabler, als Katalysator, der als Lehrer sagt, wir entdecken den Unterrichtsstoff gemeinsam. Das Entscheidende ist glaube ich das Verarbeiten, dass man miteinander daran arbeitet.  Es ist für die Schüler eigentlich eine Riesenchance, wenn sie sich zu Hause 15 Minuten ein Lernvideo anschauen und dann in der Schule eine Dreiviertelstunde Zeit haben, dem Lehrer dazu Fragen zu stellen. Das erfordert aber auch von den Schülern ein Umdenken.  Es muss ihnen auch klar gemacht werden, dass Lernen eben nicht auf die Schule beschränkt ist, sondern Lernen ist Leben, Leben ist Lernen.

A1: Können Sie jetzt individueller auf den einzelnen Schüler eingehen?    

Söser: Auf alle Fälle. Das Tablet ist ein persönliches Lerngerät. Im Unterricht sind nun einmal manche schneller und manche langsamer. Es ist ja das Schwierigste, 25 verschiedene Personen gleichzeitig mit demselben Lernstoff zu erreichen. Während der eine die nächste halbe Stunde keine Hilfe braucht, hat ein anderer hingegen die eine oder andere Frage. Durch unsere digitale Organisation habe ich das schön im Überblick und kann mich dem Einzelnen viel besser widmen. Der andere Aspekt ist: Durch diese Tools haben wir auf einmal Kollaborationsmöglichkeiten. Schüler tauschen Projekte aus und arbeiten zusammen. So entsteht eine eigene, neuartige Lerndynamik. 

A1: Geht der digitale Unterricht über die Vermittlung von klassischen Lerninhalten hinaus?

Söser: Es geht ja nicht nur um das Werkzeug an sich. Die Schüler sollen auch digital kompetent werden. Mich schreckt manchmal, wie weit 15- oder 16-Jährige eigentlich vom Bild der Digital Natives entfernt sind. Sie sind in Snapchat, WhatsApp, Instagram und Computerspielen Weltmeister. Das weitere Verständnis darüber fehlt jedoch. Wie funktionieren diese Dienste, wie kann ich die digitalen Tools produktiv nutzen. Es fehlt ihnen die Medienkompetenz. Und den Schülern diese zu vermitteln, ist ein Metaziel, das auch in der Schule erreicht werden soll.

A1: Internationale Beispiele wie das Oerestgad Gymnasium in Kopenhagen brechen mit dem digitalen Unterricht auch die klassischen räumlichen und zeitlichen Schulstrukturen auf. Ist das ein Ziel, auf das man auch in Österreich hinarbeiten soll?

Söser: Ich glaube, es ist eine absolute Notwendigkeit, dass wir Bildung im Kontext der Digitalisierung komplett neu denken müssen. Wir brauchen ganzheitliche Konzepte, die gut überlegt werden müssen. Ich stoße bei meinen Tabletklassen immer an Grenzen. In unserem Schulsystem gibt es viele technische, organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen. Beispielsweise Schularbeiten oder Tests. Warum muss ich eine Schülerin, die mir mit einem unglaublichen Lernportfolio bewiesen hat, dass sie den Lernstoff verstanden hat, nochmals in einer Schularbeit abprüfen? Es gibt einige internationale Schulen, die weiter in Richtung Individualisierung gehen und den Schüler ins Zentrum stellen. Da gibt es nicht den klassischen Klassenverband wie bei uns: Alle nach dem Stichtag XY kommen in diese Schulstufe. Oder die 50-Minuten-Taktung einer Unterrichtseinheit. Solche Dinge anzugehen, ist jedoch schwierig. Eine Tabletklasse allein ist dafür noch kein Konzept.

Factbox: Oerestgad Gymnasium in Kopenhagen
Das Oerestgad Gymnasium hat den digitalen Unterricht in ein ganzheitliches Schulkonzept eingebettet, das selbst die Architektur mit einbezieht. So gibt es kaum mehr klassische Klassenräume, die etwa 1.000 Schüler lernen in sogenannten Lernzonen. Die traditionelle Unterrichtsstunde wurde aufgelöst. Für Schüler werden individuell Wochenpläne erstellt, der Stundenplan ist in Modulen angeordnet. Die Arbeitsformen wechseln ständig. Mal lernen sie eigenständig, mal lösen sie die Aufgaben in Gruppen. Der Lehrer wird zum Berater und Unterstützer.

Zur Person:
Kurt Söser, Jahrgang 1979, ist Mathematik- und Sportlehrer an der Bundeshandelsakademie Steyr. 2015/26 wurde dort die erste Tablet PLUS-Klasse eingeführt. Mit der Gründung seiner eigenen Beratungs-Firma unterstützt er Schulen und Bildungsinstitutionen in der Umsetzung und Implementierung von digitalen Lernszenarien.

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